Ich frage mich was wären wenn. Es könnte sein, dass ich zu dir fahre in meine Lieblingsstadt. Ich halte deine Adresse in meiner Hand und sehe auf die alten Gebäude hinauf. Die mit Stuck verzierten Türen faszinieren mich immer wieder aufs Neue. Sie machen diese Stadt so besonders. Es verwundert mich, dass so wenig während des Krieges zu Bruch gegangen ist. Die Tinte auf dem Blatt verschmiert langsam, während es anfängt zu regnen.

Jetzt stehe ich hier und weiß nicht was ich tue. Ich male mir aus wie es wäre. Drehst du dich um oder siehst du mich nicht. Erkennst du mich oder weißt du nicht mehr wer ich bin? Ich möchte Antworten auf all meine Fragen, doch wer weiß, ob du sie mir geben kannst. Du sagtest einmal, dass du immer da sein wirst und ein paar Monate später warst du verschwunden. In meinem Herzen warst du es nie. Du warst immer da, versteckt in den Baumkronen, ein verspieltes Etwas. Ja ich habe dich oft gesucht, aber du bist immer wieder zurück zu mir gekommen.

So stehe ich nun in dem Raum, der sich deine Arbeit nennt und frage nach dir. Ich sehe dich, bleibe stehen und blicke einfach nur auf deinen Rücken. Du machst diesen Job gut, auch wenn er nie das war, was du tatsächlich wolltest. Du wolltest schon immer auf die Bühne und die Bretter der Welt erobern wie im Sturm. Der Erfolg war dir aber gar nicht so wichtig. Nein, das Gefühl für dich selbst war das aller Wichtigste. Du berätst einen jungen Mann und siehst etwas in ihm, dass vielleicht einmal dir gehören könnte, doch dann verwirfst du den Gedanken gleich wieder, denn so bist du, ein träumender Mensch, der sich gerne Beziehungen mit Menschen vorstellt, die unerreichbar für einen sind. Noch immer starre ich dich an, warte auf den richtigen Moment, um dich anzusprechen, gehe zu dir und sage: “Entschuldigung.“ Freundlich blickst du in mein Gesicht, tust das was du tun musst, es ist dein Job. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Ich weiß nicht was ich sagen soll. Vielleicht sollte ich dir einfach nur Hallo sagen oder dich anschwindeln, dir vorgaukeln ich wüsste nicht wer du seist und so tun, als würde ich Hilfe bei einem Möbelstück brauchen. Welche Farbe passt wohl am Besten in mein Wohnzimmer?  Nein das kann ich wirklich nicht sagen. Also stammle ich ein kurzes, „Hallo“, heraus und sehe dich an. Du fängst an zu lachen, aber siehst es tatsächlich nicht. „Hallo. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Dein Lachen hat sich nicht verändert. Es strahlt noch immer in alle Richtungen und ist einfach ansteckend. „Welche Farbe passt wohl am Besten in mein Wohnzimmer?“ „Nun, ich kenne Ihr Wohnzimmer nicht.“ „Klar, wie dumm von mir.“ Im nächsten Moment habe ich bereut überhaupt hier her gekommen zu sein. Ich möchte abhauen, wieder gehen, aber du hast mich in einen Bann gezogen, lässt mich nicht mehr gehen. Zu gerne würde ich dir alles erklären. Ich möchte dir erzählen, was die letzten Jahre geschehen ist, seit du verschwunden bist und dir erklären, dass ich meine Fehler eingesehen habe. Ich habe wirklich alle eingesehen. Es war allein meine Schuld, dass wir uns trennen mussten und ich wünschte all das wäre nie passiert. Doch ich gehe wieder, verabschiede mich, wie es ein anständiger Kunde tut und sage, dass ich wieder kommen würde, was ich natürlich nicht tue. Auch du verabschiedest dich, wie es eine Angestellte eben tut, um den freundlichen Kundenumgang zu erhalten.

So stehe ich nun in dem Raum, der sich deine Arbeit nennt und frage nach dir. Ich sehe dich, bleibe stehen und blicke einfach nur auf deinen Rücken. Ich male mir aus was du wohl sagen wirst, wenn ich dich anspreche oder ob du mich überhaupt erkennen wirst. Ich tropfe noch ein wenig vom Regen. Und so lange ich hier stehe, deinen Rücken anstarre und warte, träume, geht der Kollege zu dir, sagt dir, dass ich nach dir fragte und du drehst dich um, erblickst mich, erstarrst, starrst. So stehen wir hier, 5 Meter voneinander entfernt und starren beide in das Gesicht des jeweils anderen. Du wagst den ersten Schritt, kommst auf mich zu und knallst mir eine. Eine richtig schöne Ohrfeige. So kenne ich dich. „Das wollte ich schon immer als erstes tun, sobald ich dich sehe.“ „Ich weiß.“ „In einer halben Stunde habe ich Feierabend. Wartest du?“ Du hast mich nicht einmal gefragt, was ich hier mache, warum ich hier bin, was zur Hölle ich in deinem Laden suche. „Natürlich warte ich“, antworte ich in einem sanften Ton. Wir gingen durch den Park, gingen klatschnass in ein Café und redeten den ganzen Tag. Ich erzählte dir von Allem, du mir auch. Wir sahen beide Fehler ein, beide haben Fehler begangen. Wir verzeihen dem Anderen. Perfekte kleine Welt.

Ich kann die Schrift mittlerweile nicht mehr lesen. Ich habe nichts getan, bin nicht herein gegangen, habe nicht nach dir gefragt. Ich bin einfach wieder gegangen. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht hatte ich Angst vor deiner Reaktion, vielleicht wollte ich aber auch nur, dass meine Träume von dir, von uns, nicht zerstört werden und in meinem Kopf erhalten bleiben. Fakt ist, dass ich dich wohl nie im echten Leben treffen werde, auch wenn ich es mir wirklich sehnlichst wünsche. Du möchtest keinen Kontakt zu mir. Ich akzeptiere es, auch wenn es zu tiefst schmerzt und wenn es wahrscheinlich auch in 5 Jahren noch schmerzen wird, vor allem dann, wenn ich in Wien studiere und du jeden Tag nur 3 Kilometer von mir entfernt bist.

Siehe auch

21:30 Uhr

Ich ging. Ich ging und ließ dich zurück.

Ein Neubeginn

Ein Neuanfang kommt meist so plötzlich wie der Schrei nach Hilfe.

Dreiundzwanzig Zigaretten

Sieh mich noch ein Mal an, bevor ich im Rauch deiner Zigaretten verschwinde.